

Für zwei Konzerte mit J. S. Bachs Sonaten und Partiten für Violine solo und neuen Werken von Fabio Nieder suchte Wolfgang Laubichler eine Geigerin, die der Alten Musik gleich zugeneigt ist wie der zeitgenössischen. In Ariadne Daskalakis, Virtuosin auf der Barock- und der modernen Violine, fand er eine Idealbesetzung.
Die Beschäftigung mit Alter Musik ist in der Musikausbildung oft nachgereiht. Warum sind sie selbst tiefer in diese Materie eingetaucht?
Ariadne Daskalakis Ich hatte während des Studiums Kolleg:innen und Mentor:innen, die von dieser Klangwelt begeistert waren und meine Neugier weckten. Damals habe ich verstanden: Diese Thematik ist wichtig. Es geht letztendlich darum, die Werke gut weiterzutragen, und je mehr Wissen und Verständnis wir von ihrer Entstehung und ihrer Zeit haben, desto stärker wird auch das künstlerische Ergebnis.
Welche Vorzüge hat es, Alte Musik auf Instrumenten der Zeit zu spielen?
Der wesentliche Vorzug ist die Nähe zur Klangwelt von damals, als die Werke konzipiert wurden. Der damalige Kontext hat die Entstehung maßgeblich beeinflusst.
Der Saitendruck auf die Instrumente ist geringer, Resonanz und Klang sind dadurch anders. Der Barockbogen ist leichter und die Darmsaiten reagieren anders als moderne Kunststoff- oder Stahlsaiten. Man beschäftigt sich also sehr mit diesen anderen Klängen, wenn man auf einer Barockvioline spielt.
Wie erarbeite Sie sich Werke früherer Epochen?
Bei großen Komponisten ist tatsächlich alles schon im Notentext vorhanden und man muss lernen, darin zu lesen wie in einer Landkarte: Wie komme ich von A nach B? Welche Routen habe ich zur Auswahl? Es geht um die Regeln der Komposition: die Harmonieentwicklung in einem Stück, den rhythmischen Duktus und das Tempo. Und es geht darum, wie Komponist:innen diese Regeln ausgereizt und wann sie sie auch gebrochen haben. Mit der Erfahrung und damit, dass man zu einem Werk immer wieder zurückkehrt, kann man diese Karte immer besser lesen.
Ist dieses Zurückkehren im Falle von Bachs Sonaten und Partiten eine Art Lebensaufgabe?
Die Werke für Solovioline von Bach sind für uns wirklich wie unsere Bibel. Jeder Geiger, jede Geigerin setzt sich damit auseinander und kommt immer wieder darauf zurück. Es ist wahrscheinlich die Musik, die wir am meisten im Leben spielen, und es ist ein Geschenk, dass wir diese Werke nach außen tragen dürfen.
Verändert sich die Sichtweise darauf mit der Zeit?
Ja, natürlich tut sich immer wieder etwas in der Entwicklung. Das ist ja das Tolle an unserem Beruf, dass wir weiterwachsen können. Man muss immer weiter lernen wollen und dafür offen sein, Neues auszuprobieren und alte Gewohnheiten infrage zu stellen. Zugleich kommt man auch immer wieder auf Dinge zurück, von denen man weiß: So ist es stimmig.
Welche Regeln gilt es konkret in der «Landkarte» dieser sechs Stücke zu beachten?
Bei den drei Partiten handelt es sich um Suiten, in denen mehrheitlich Tanzsätze vorkommen. Wir sehen also die Titel – Allemanda, Corrente, Sarabande … – und hinter jedem von ihnen steckt eine kleine Liste von Eigenschaften. Stehen sie zum Beispiel in einem 3⁄4– oder einem 4⁄4-Takt und wo liegen darin die Schwerpunkte? Wie soll der jeweilige Tanz sich anfühlen? Bei der E-Dur-Partita hat Bach die Satztitel in französischer Form geschrieben, in der d-Moll-Partita hingegen in italienischer. Das lässt darauf schließen, dass er unterschiedliche Stile andeuten wollte.
Die drei Sonaten beginnt Bach konsequent mit einem langsamen ersten Satz. Der Spieler, die Spielerin und damit auch das Publikum stimmen sich akustisch ein. Danach folgt eine Fuge, dann ein langsamer dritter und ein schnellerer vierter Satz. Die Fugen in den Sonaten sind bekanntlich sehr herausfordernd – an der Grenze zur Unspielbarkeit – und sie sind eine Welt für sich. Wie Bach mit dem Motiv in allen Lagen umgeht und was er auch sonst mit einer kleinen Geige anstellt, das ist ganz toll. Und Die vier Saiten behandelt er zum Beispiel immer wie einen Chor, wie Sopran, Alt, Tenor und Bass. Diese Werke sind in der Regel also wirklich mehrstimmig, obwohl es nur eine Geige ist. Das ist wahnsinnig beeindruckend als Kunstwerk und herausfordernd zu spielen – und natürlich auch sehr beglückend zu genießen.
Neben der Alten Musik beschäftigen Sie sich auch viel mit der zeitgenössischen. Wie muss man an diese neuen Werke, gerade bei Uraufführungen, herangehen?
Es braucht eine gute Mischung aus Verantwortung, Vertrauen und Begeisterung. Man muss davon ausgehen, dass man ein Meisterwerk vor sich hat, und es liegt an einem selbst als Interpretin, das zu vermitteln. Auch da forscht man sehr, sehr genau im Notentext. Allerdings geben die Texte heutzutage viel mehr Details wörtlich wieder als früher, das ist bei der Vorbereitung sehr hilfreich.
In Innsbruck spielen Sie beides: Bachs Sonaten und Partiten auf der Barockvioline und zwei neue Werke des Komponisten Fabio Nieder auf einer modernen Geige. Was ist das Meisterliche an seiner Musik?
Beide Werke sind zwar rhythmisch sehr genau notiert, werden aber ziemlich frei und rhetorisch klingen. Beide sind sehr phantasievoll; es werden zum Beispiel bestimmte klangliche Ideen sehr schön entwickelt und ausgereizt. Das Werk Musik der Verschwundene Verse, das ich im Mai spiele, ist besonders fein und feinfühlig, sehr intim. Das Hanferntelied im Juni-Konzert basiert stark auf Volksmusik. Man erkennt die Sprache des Komponisten wieder, findet sich aber in einem ganz anderen Kontext. Fabio Nieder hat ein ganz besonderes Gespür für Klänge und ich denke, dass bei diesen Stücken die Ohren wirklich weit aufgehen.
ZUR PERSON
Die US-amerikanische Geigerin griechischer Herkunft Ariadne Daskalakis ist Spezialistin für die Aufführungspraxis von der Barock- bis zur zeitgenössischen Musik. Sie genießt internationales Renommee als Solistin und Kammermusikerin und gibt ihr umfangreiches Wissen als Professorin an der Hochschule für Musik und Tanz Köln weiter.
HDM IN CONCERT: Bach – Sonaten & Partiten I
Ariadne Daskalakis, Violine
23.5.25 / 20.00 UHR
GROSSER SAAL
PREISE AB € 20
HDM IN CONCERT: Bach – Sonaten & Partiten II
Ariadne Daskalakis, Violine
13.6.25 / 20.00 UHR
GROSSER SAAL
PREISE AB € 20