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„Das ultimative Stück Kammermusik“

Wer sich an Steve Reichs komplexes Ensemblewerk Music for 18 Musicians wagt, der findet in Micaela Haslam den idealen Coach. Die britische Sängerin gilt als Spezialistin für das epochale Werk und bereitete auch das Ensemble konsTellation auf die Aufführung im Haus der Musik vor. Im Gespräch verrät sie, was das Stück so einzigartig macht und wie man sich ihm am besten annähert.

Sie gelten als „Music-for-18-Musicians-Guru“. Wie kommt es, dass Sie das Werk sogar besser kennen als Steve Reich selbst?

Micaela Haslam: 1997 war ich als Mitglied von Synergy Vocals dazu eingeladen, das Stück mit dem Ensemble Modern anhand einer neuen, modularen Partitur erstmals aufzuführen. Wir verbrachten eine ganze Woche damit, es zu lernen und die Stimmen mit Steve Reich und den Schlagzeugern Bob Becker und Russ Hartenberger zu korrigieren. Nach vielen, vielen weiteren Aufführungen mit dem Ensemble Modern und anderen Ensembles wurde mir klar, dass ich wusste, was jede*r Musiker*in an einem bestimmten Punkt des Stücks tat und wie es nach Steves Vorstellungen klingen sollte. Dann begann Steve, sich bei mir zu melden, um Antworten auf die Fragen von Musiker*innen zu erhalten, und der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.

Können Sie erklären, warum das Werk so einzigartig ist?

Es gibt kein vergleichbares Stück. Sogar in Steve Reichs Schaffen steht es alleine da. Der Aufbau ist extrem kunstvoll, und es zu spielen, ist eine Bereicherung und macht großen Spaß. Man kann vom ultimativen Stück Kammermusik sprechen, bei dem jede*r im Ensemble für das Tempo, den Verlauf, die Balance, die Länge und den Charakter der Aufführung verantwortlich ist.

1980 trat Steve Reich mit seinem Ensemble und Music for 18 Musicians in Hall in Tirol auf – für die Zuhörer*innen ein höchst eindrucksvolles Erlebnis. Warum gab es lange Zeit kaum Aufführungen durch andere Ensembles?

Tatsächlich waren Steve Reich and Musicians ein Jahrzehnt lang die einzigen, die das Werk spielten. Steve brachte es seinem Ensemble über einen längeren Zeitraum bei, wobei jede*r aus einzelnen handgeschriebenen Teilen spielte. Soweit ich weiß, versuchten sich in dieser Zeit nur ein oder zwei andere Ensembles an dem Stück. Da es bis in die 1990er-Jahre noch keine Partitur gab, konnten sie das nur durch die Transkription früherer Aufnahmen tun – ein extremer Aufwand! Durch die Partitur aus den 1990er-Jahren ist das Stück viel leichter zu verstehen, trotzdem gibt es noch viele Aspekte, die unmöglich zu notieren sind und daher einiger Erklärungen bedürfen.

Worauf legen Sie bei der Vorbereitung besonderen Wert?

Ich verwende immer ein wenig Zeit darauf, im Voraus die Grundlagen des Stücks zu erklären. Das macht sich durchwegs bezahlt. Denn wenn man darauf verzichtet, ist man schon vor Beginn der ersten Probe mit einer Million Fragen konfrontiert.

Welche musikalischen Probleme sind bei der Aufführung zu lösen?

Als Musiker*in muss man lernen, mit wem man zu einem bestimmten Zeitpunkt in Kontakt ist und wie man zuhört. Es gibt akustische und visuelle Hinweise, die jede*r hören und auf die jede*r reagieren muss – zum Beispiel das Vibraphon –, und es gibt Hinweise, die nur zwischen zwei oder ein paar Spieler*innen gelten. Jede*r Musiker*in muss selbst Hinweise geben und zugleich wissen, wann und von wem er oder sie einen Hinweis zu erwarten hat. Wenn die Abfolge der Ereignisse klar ist, kann man nichts falsch machen.

Verläuft die Probenarbeit mit Studierenden wie im Ensemble konsTellation anders als jene mit professionellen Ensembles?

Nein, ich bereite studentische Ensembles genauso vor wie professionelle. Es geht immer darum, dass sie ihre bestmögliche Leistung erbringen können. Ich arbeite auch eng mit dem Tontechniker zusammen. Er ist der 19. und wohl wichtigste Musiker im Stück, denn er muss alles so ausbalancieren, dass das Publikum alle zentralen Elemente hören kann.

Ensembles, für die das Stück neu ist, empfehle ich in der Regel, mit einem zusätzlichen Perkussionisten zu spielen. Die 18 Musiker*innen aus dem Titel sind ja nur die kleinstmögliche Anzahl, und selbst bei 19 müssen einige der Spieler*innen zwischen zwei Instrumenten wechseln. Ein Perkussionist muss sogar einmal das Marimba von der „falschen“ Seite spielen.

Ist es wichtig, wie Instrumente und Spieler*innen auf der Bühne platziert sind?

Ja, sehr. Steve legt der Partitur ein klares Diagramm bei, aus dem hervorgeht, wo alle Instrumente im Verhältnis zueinander positioniert sein müssen, und das aus gutem Grund. Es ist die beste Anordnung, um sicherzustellen, dass die Musiker*innen genau die Leute sehen und hören können, die sie sehen und hören müssen, während zugleich dem Publikum eine möglichst ausgewogene Perspektive des Stücks geboten wird.

Warum sollte man sich das Werk unbedingt live ansehen?

In Music for 18 Musicians geht es definitiv um Menschen, und zwar um jene, die das Stück spielen und singen. Sie haben – innerhalb der Grenzen einer schön ausgearbeiteten und klaren Struktur – gewisse Freiräume, etwa darin wie oft und wie lange sie eine bestimmte Phrase spielen. Da es keinen Dirigenten gibt, entsteht zwischen den Musiker*innen auf der Bühne zwangsläufig mehr Kommunikation. Jede*r von ihnen ist zu einem bestimmten Zeitpunkt dafür verantwortlich, dass das Stück voranschreitet, und das allein ist schon sehr befriedigend. Das Publikum nimmt die Struktur wahr, auch wenn es nicht unbedingt genau versteht, wie das Ganze funktioniert. Es spürt die Verbindung zwischen den Musiker*innen und lässt sich von diesem Gemeinschaftsgefühl anstecken. Eine Live-Aufführung von Music for 18 Musicians ist daher immer unendlich viel besser als jede Aufnahme. Das ist auch der Grund, warum ich dieser Komposition nie überdrüssig werde: Sie bringt so viel Freude.

Von Esther Pirchner

HDM IN CONCERT: Music for 18 musicians

Steve Reichs epochales Meisterwerk

SO 19. März 2023
Beginn 20.00 . Großer Saal

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